Diesmal besuchten die Grüne Pfanne und wir das wilde Bergkamen-Rünthe. Naja, wild ist Bergkamen, das früher als eine der bedeutendsten Bergbauregionen in ganz Europa bekannt war, zwar nicht unbedingt, da unser neues Portrait aber unter dem Motto Jagdgeflüster steht, kam es uns unheimlich wild vor.
Wildfleisch ist mit Sicherheit nicht jedermanns Sache und wir haben auch sehr schnell gemerkt, dass Jagen nicht nur ein Hobby, sondern eine Lebenseinstellung ist. Von unseren Erlebnissen und vor allem der zauberhaften Lara, die für uns ihr Lieblingsgericht – Wildschweinrouladen – zubereitete, möchten wir hier erzählen.
Am Forellenhof in Bergkamen-Rünthe angekommen hieß es erst mal, Equipment auspacken, Jacken ausziehen, Ärmel hochkrempeln und Äpfel sammeln. Lara musste ihrer Familie nämlich erst einmal helfen die reifen Äpfel von den Bäumen vor dem Haus zu ernten. Sie sollten zu Saft verarbeitet werden. Mit einem schelmischen Grinsen bestätigte sie uns, dass sie aus purer Berechnung diesen Tag für Pfannenliebling vorgeschlagen hatte. „Je mehr Hände, desto schneller sind wir fertig, also stellt euch nicht so an Mädels, die Äpfel brauchen wir ja auch für die Rouladen“, war ihre knappe Antwort auf unser kurzes aber heftiges Aufbegehren. Schicksalsergeben sammelten wir also zunächst Äpfel, bevor es endlich ins Haus und somit zur Zubereitung der Wildschweinrouladen gehen konnte.
Lara ist 28 Jahre alt und studiert. Sie lebt in einer wunderschönen Doppelhaushälfte zusammen mit ihrer Mutter. Ihre Schwester bewohnt die andere Hälfte zusammen mit ihrem Mann. Das Backsteinfachwerkhaus ist schon seit Ewigkeiten im Besitz ihrer Familie. An einer Wand entdeckten wir dann auch sehr alte schwarz-weiß Fotografien, die uns einen Eindruck von der längst vergessenen Geschichte der „guten alten Zeit“ vermittelten. Vom Hochzeitsbild der Großeltern, über Ernteszenen bis hin zu jungen Frauen am See in – heute würde man sagen – Rhetro-Badeanzügen war alles dabei. Wir – insbesondere Patricia und ich (Silvia) – waren als Historikerinnen beseelt von diesen Schlaglichtern einer vergangenen Epoche.
Die Wirklichkeit holte uns aber schnell wieder ein, als Lara uns, die von ihrem Freund Fabian geschossene Keule zeigte, aus der die Wildschweinrouladen gemacht werden sollten. Wir müssen wohl gestehen, dass wir alle noch nicht sehr viel, um nicht zu sagen keinerlei Erfahrung mit Wild gemacht haben. Ein solch großes Stück Fleisch auf einmal hatten wir höchstens mal als Seranoschinken, also nicht mehr roh, im Spanienurlaub zu Gesicht bekommen. Aber da Fabian die geernteten Äpfel noch zum saftmachen bringen musste, hatte die Keule noch Schonfrist.
Wir setzten uns mit Lara auf die Terrasse, damit sie uns erst einmal etwas über sich und ihr Hobby das Jagen erzählen konnte. Für uns alle ist die Vorstellung ein Tier zu töten vollkommen abwegig, aber irgendwo muss das Fleisch ja her kommen, das wir auf den Teller bekommen. Also wenn nicht jetzt wann dann all die Fragen stellen, die sich einem reflektierten Fleischesser stellen, oder zumindest stellen sollten, auch wenn wir nur all zu oft und zu gerne versuchen sie auszublenden. Das Wildschwein für die Rouladen hatte Fabian in seinem eigenen Revier in Niedersachsen geschossen, in seinem Kühlraum „aus der Schwarte geschlagen“ (also von der Haut und dem Fell befreit), abgehangen und schließlich eingefroren, damit er es zu diesem besonderen Anlass mitbringen konnte. Sein Revier teilt er sich mit seinem Vater und einem Freund der Familie und lädt auch regelmäßig andere Jäger in sein Revier ein. Neben den nicht unerheblichen Kosten, die ein eigenes Revier verursacht, macht es auch ganz schön viel Arbeit. Um eine ausgewogene Mischung der verschiedenen Tiere, Altersgruppen und Geschlechter zu gewährleisten, müssen Fabian und Co. eigentlich ständig ins Revier und den Bestand im Auge behalten. Das Schwein, das wir an diesem Tag essen wollten, hatte er auf einer sogenannten Pirschjagd erlegt.
Bei einer Pirschjagd sucht der Jäger mit Hilfe eines Fernglases die üblichen Futterstellen der jeweiligen Tierherde ab. (Bei Wildschweinen sprechen die Jäger allerdings nicht von Herde, sondern von Rotte.) Wenn er fündig wird – ein guter Jäger kennt nicht nur die besten Stellen, sondern auch beinahe jedes Tier oder zumindest jede Herde in seinem Revier – bestimmt er die Windrichtung. Es ist wichtig gegen den Wind zu laufen, damit die Tiere ihn nicht wittern. Wenn dann nur noch knapp 30 Meter zwischen den Tieren und dem Jäger liegen, kann er anlegen und schießen. Auch hierbei gibt es allerdings etwas wichtiges zu beachten. Niemals, so erklärte Lara eindringlich, sollte die Leitbache (Bache ist ein anderes Wort für Sau) erlegt werden, denn ohne sie, also ohne Leittier, kann es sein, dass die Rotte die Orientierung verliert und die besten Futterstellen nicht mehr finden kann. Ausserdem ist es wichtig, dass das Tier vor dem Erlegen möglichst keinem Stress ausgesetzt wird. Hat das Tier Angst und / oder versucht zu fliehen, ist dies nicht nur eine Quälerei für das Tier, es schadet auch der Qualität des Fleisches. Das freigesetzte Adrenalin strömt in das Fleisch wodurch es zäh und ungenießbar werden kann. Wildschweine kann man übrigens beinahe das ganze Jahr jagen, allerdings schmeckt das Fleisch der Keiler (männliche Wildschweine) gar nicht, wenn gerade Rauschzeit ist. (Als Rauschig bezeichnet man ein Tier, das gerade Paarungsbereit ist).
Im Oktober beginnt die Jagdsaison. Den ganzen Herbst und Winter ist nahezu jedes Wochenende eine andere Jagd, bei der sich unterschiedlich große Gruppen von Jägern treffen und den Wildbestand auf ein gesundes Maas reduzieren. Es gibt sogar eigene Damenjagden, bei denen Männer nur als Treiber mitgehen dürfen. Lara ist als junge Frau so etwas wie ein bunter Hund unter den Jägern. Nicht viele Frauen besitzen einen Jagdschein und interessieren sich dafür. Sie selbst hat die Leidenschaft zum Jagen von ihrem Vater mitbekommen. Er hat sie oft mitgenommen und mit 18 Jahren machte sie dann selbst ihren Jagdschein. Sie liebt es in der Natur zu sein, zu sehen wie der Nebel sich am frühen Morgen langsam verzieht, die Sonne über einer Lichtung aufgeht und dann ein Stück (so nennen Jäger ein Wildtier, das sie erlegen wollen) zu erblicken. „Natürlich geht es auch darum das Tier zu erlegen,“ sagte Lara uns, „aber ich schieße nur, wenn ich mir 100 prozentig sicher bin, dass ich es mit einem Schuss töten kann. Es geht um Respekt vor der Natur und dem Leben, das sie hervorbringt. Deshalb muss man auch immer das gesamte Stück verwenden. Aus allem kann man etwas machen. Ich selbst kann auch mit dem Kopf nicht unbedingt etwas anfangen, und will ihn auch nicht als Trophäe. Deshalb lasse ich ihn im Wald liegen, damit Füchse und andere Aasfresser noch etwas davon haben.“ Aus der Speckschwarte beispielsweise eines Dachses lässt sich auch eine wunderbar heilsame und pflegende Creme herstellen, die Lara uns dann auch ganz stolz zeigte. Als Fabian dann endlich wieder zurück war ging es auch endlich für die Grüne Pfanne los. Auf der Terrasse zeigte er uns fachmännisch, wie aus der riesigen Keule Rouladen werden. Dabei war er ganz in seinem Element. Naja, nicht ganz, denn er hatte seine guten Messer nicht dabei und Lara hatte ihre bei Ihm in Niedersachsen vergessen. Beim Zerlegen des Fleisches ist es aber essentiell notwendig sehr scharfe Messer zu haben. Obwohl die Bedingungen also alles andere als perfekt waren, schaffte Fabian es, dank seiner großen Erfahrung, die Knochen und Sehnen zu entfernen und zum platt klopfen geeignete Stücke aus der Keule zu machen.
Man muss sagen, dass dieses Fleisch schon einen eigenartigen Geruch hat. Es ist der typische Fleischgeruch nur wesentlich intensiver. Man hat den Eindruck, man könne den Eisenanteil im Blut und auch ein bisschen von dem Fell des Tieres riechen. Auch beim braten steigt einem dieser Geruch in die Nase, nach wenigen Minuten, wenn das Fleisch nicht mehr roh ist, ist von diesem Duft aber nichts mehr zu riechen.
Nachdem Fabian uns also den fachgerechten Umgang mit der Wildschweinkeule gezeigt hatte, machten wir uns alle zusammen daran die Füllung für die Rouladen und die Beilagen vorzubereiten. Also Möhren, Kartoffeln und Zwiebeln schälen, frisch am Morgen gepflückte Äpfel aufschneiden und alles nach Laras Anweisungen raspeln, würfeln oder pürieren. Es war ein Heidenspaß mit der ganzen Horde um den Terrassentisch zu sitzen, Rotwein zu trinken und das Essen vorzubereiten.
Abgesehen vom Weg der Keule zum rollbaren Rouladenfleisch, gestaltete sich die Zubereitung dann auch wirklich simpel. Würzen, Möhrenzwiebelschnipsel drauf, Apfelscheiben verteilen, zusammen rollen, mit Zahnstochern verschließen, fertig.
Nach etwa einer Stunde saßen wir am Tisch und genossen die wirklich guten Rouladen. Das Fleisch war zarter, als wir es uns je hätten vorstellen können. Weder Sehnen, noch Fett, noch Fasern waren im Fleisch bemerkbar. Es zerging gleichsam auf der Zunge. Auch von dem, für meinen Geschmack, etwas strengen Geruch des rohen Fleisches war nichts mehr zu merken. Allenfalls ganz leicht, und weil wir es ja nun auch wussten, konnte man den von uns allen so gefürchteten Wild-Geschmack noch wahrnehmen. Lara war auch zufrieden mit ihrem Lieblingsessen und der Qualität des Fleisches. Am liebsten kocht sie die Wildschweinrouladen für Ihren Bruder. Er lebt in Thüringen und die beiden sehen sich nicht so häufig. Wenn er aber zu Besuch kommt, liebt es Lara ihn mit diesem Essen zu verwöhnen. Die beiden haben trotz der Entfernung ein sehr inniges Verhältnis. Wer weiß, vielleicht möchte sie ihn ja mit ihrer Jagd- und Kochkunst zurück nach Nordrhein Westfalen locken?
Dieser ganze Tag angefangen mit der Apfelernte, über die drei Hunde Bruno, Gretel und Dina, die den ganzen Tag um uns herum sprangen, über die in unseren Augen riesige Keule bis hin zu Laras fertigem Lieblingsessen, das alles war schon ein echtes Erlebnis. Jäger sind wirklich ein besonderer Schlag mit einer eigenen Sprache und wir sind sehr sehr dankbar, dass wir zumindest einen Eindruck erhalten und natürlich einen Geschmack davon bekommen haben. Wahrscheinlich muss man als Jäger geboren sein, um das Glitzern in den Augen von Lara und Fabian nachzuvollziehen. Was allerdings nie vergessen werden sollte ist, dass das Fleisch eben nicht wie beim Metzger in der Auslage, im Supermarkt an der Theke oder in der Plastikverpackung auf die Welt gekommen ist. Hinter jedem Stück Fleisch steht ein Tier das dafür sein Leben hingeben musste. Lara und Fabian verarbeiten alles von einem Tier, nicht nur das Filet. Aus den Innereien und den zähen Stücken wird Wurst gemacht. Zu jedem Teil des Fleisches kennen sie ein spezielles Rezept, dass der Struktur des Fleisches entspricht. Das Fett verwenden sie für Cremes und Salben. Es ist ein sehr respektvoller und nachhaltiger Umgang mit der Natur und dem was sie uns zu bieten hat. Dem erlegten Tier wird die letzte Ehre erwiesen, es ist immer das Ziel das Tier so schnell wie möglich und ohne Stress zu töten. Es merkt im besten Fall gar nicht, wenn es stirbt. Diesen Tag und das Essen werden wir wohl nie vergessen.
Lara hat mit ihrer sehr reflektierten Einstellung zum Jagen auch ein Bewusstsein in uns geweckt. Sie ist ein ganz besonderer Mensch, dem der Jägerhut nicht nur gut steht, sondern der ihn auch wirklich verdient hat.
Comment
Cooler Post, mal was ganz anderes!